Das Verwaltungsgericht Göttingen hat mit Urteil vom 30.11.23 festgestellt, dass die Absperrung eines Gebäudekomplexes mit einem Zaun und dessen Absicherung durch die Polizei im Wege der Amtshilfe rechtswidrig gewesen sind (4 A 212/20).
Die Stadt Göttingen hatte am 18. Juni 2020, befristet bis zum 25. Juni 2020 verfügt, dass sich die Bewohner des Gebäudekomplexes Groner Landstraße 9, 9a und 9b häuslich abzusondern hatten, d.h. den ihre Wohnungen in dem Gebäudekomplex in der genannten Zeit nicht verlassen durften. Gleichzeitig durfte niemand Außenstehendes die Gebäude betreten. Hintergrund der Anordnung war, dass eine am 15./16. Juni 2020 durchgeführte Reihentestung der Bewohner des Gebäudekomplexes ergeben hatte, dass von 668 getesteten Person mehr als 100 positiv getestet worden waren. Die Kläger waren sowohl bei diesem wie bei einem am 20./21.6.2020 nachfolgenden Test negativ getestet worden. Zur Sicherung dieser Anordnung ließ die Stadt einen Bauzaun um den Gebäudekomplex aufbauen und diesen durch die Polizei in Amtshilfe absichern. Gleichzeitig errichtete die Stadt in dem Gebäudekomplex ein mobiles Versorgungszentrum und eine Gesundheitsstation.
Nachdem sich diese Maßnahme durch Zeitablauf erledigt hatte, haben die Kläger, eine vierköpfige Familie, Klage erhoben. Sie wollten durch das Gericht feststellen lassen, dass die Umzäunung des Wohnkomplexes und deren Sicherung durch die Polizei rechtswidrig gewesen seien. Zur Begründung machten sie einen Verstoß gegen ihre Grundrechte auf Freiheit der Person und der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit geltend. Jedenfalls fehle es an der erforderlichen richterlichen Anordnung der Maßnahme. Die Stadt hat ihre Maßnahme mit dem Argument verteidigt, die Kläger hätten sich aufgrund der städtischen Verfügung vom 18.06.2020 absondern müssen und seien mit dem Bauzaun oder der Polizei gar nicht in Berührung gekommen. Deshalb habe auch eine richterliche Entscheidung nicht herbeigeführt werden müssen. Sie habe verhindern wollen, dass sich das Ansteckungsgeschehen aus dem Gebäudekomplex durch Quarantänebrecher auf die gesamte Stadt ausbreite.
Das Gericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass die Maßnahme, einen Bauzaun aufzustellen und diesen von der Polizei absichern zu lassen, rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, in der Maßnahme der Stadt liege ein Eingriff in die Freiheitsrechte der Kläger. Denn nicht die Absonderungsverfügung, sondern erst der von der Polizei gesicherte Bauzaun habe die Kläger tatsächlich, d.h. physisch, daran gehindert, das Grundstück ihres Wohnkomplexes zu verlassen. Diese Maßnahmen seien durch das für Coronamaßnahmen einschlägige Infektionsschutzgesetz nicht gedeckt gewesen. Dieses Gesetz gehe davon aus, dass eine Absonderungsverfügung freiwillig befolgt werde, weil die Betroffenen Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme zeigten. Sollte es zu individuellen Verstößen gegen eine Absonderungsanordnung kommen, sehe das Gesetz allein eine zwangsweise Absonderung in einem Krankenhaus, in bestimmten Fällen in einer anderen Einrichtung vor. Der Gebäudekomplex Groner Landstraße 9, 9a und 9b und die darin befindlichen Wohnungen seien eine solche Einrichtung nicht. Damit sei es der zuständigen Behörde verwehrt, andere Maßnahmen und Anordnungen zu ergreifen, die zumindest von ihrer subjektiven Zielsetzung her erkennbar darauf gerichtet gewesen seien, die durch den Betroffenen eigentlich „freiwillig“ zu befolgende Absonderungsverfügung doch zwangsweise durchzusetzen. Die Kläger, die keine Quarantänebrecher waren, hätten nicht zwangsweise auf ihre Wohnung verwiesen und am Verlassen des Gebäudekomplexes nicht durch einen Bauzaun und Polizei gehindert werden dürfen. Überdies hätte diese freiheitsentziehende Maßnahme eines richterlichen Beschlusses bedurft. Einen solchen hatte die Stadt nicht erwirkt.
Die Stadt als unterlegene Partei kann gegen das Urteil einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Nds. Oberverwaltungsgericht in Lüneburg stellen.
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